Ihre Hand glitt zärtlich über die weiche, warme Haut. Ihre Finger streichelten sanft seine Rückenwirbel, glitten in kleinen Kreisen den Rücken hinauf, streichelten seinen Rücken, die Schulter. Er spürte die Finger und genoss die Berührungen. Ihre Hand glitt hoch zu seinem Nacken, auch hier streichelten die Finger in sanften Kreisen seine Haut. Langsam streichelten sie sich höher, immer höher in dem Nacken und erreichten seine Haare. Ihre Finger griffen in das Haar, hielten sich dran fest und sie glitt auf seinem Rücken.
Er hielt ganz still.
Sie griff den Sack und hielt ihn mit einer Hand hinten. Auf seinem Rücken fing sie an zu singen. Jeanne konnte nicht gut singen, aber laut.
„Sie tut es schon wieder.“
„Und mitten auf dem Dorfplatz.“
Die zwei Dorffrauen standen im Bäckerladen und sahen verärgert durch das Schaufenster. Sie hatten sich mit der Verkäuferin unterhalten. Der Bäcker kam von hinten in den Verkaufsraum und guckte auch. Auch ein Touristenpärchen stand im Laden, schaute verunsichert. Der Bäcker wandte sich den Touristen zu und fragte, was sie wollten.
Eine der Dorffrauen zog ihr Handy heraus und wählte eine Nummer.
„Sie tut es schon wieder. Könnt ihr nicht kommen?“
Das Touristenpärchen verlangte ein paar Brötchen und besonders Brezeln, für sie ein Muss in den bayerischen Alpen.
Die Tür ging auf. Die kleine Ladenglocke, die von der Tür angestossen wurde, bimmelte.
Jeanne kam herein.
Sie war eine fast erwachsene Frau, angezogen wie ein Mädchen, sah fast aus wie Pippi Langstrumpf. Sie trug schwarze Boots, eine geringelte Wollstrumpfhose und darüber einen knielangen Filzrock. Über ihren Wollpullover trug sie auch noch eine fleckige Schürze. Ihr Haar war verstrubbelt, ragte in blonden Strähnen auf ihren Kopf in alle Richtungen. Ihre Augen waren sehr blau, ein helles Blau.Sie sah seltsam aus für ein siebzehnjähriges Mädchen.
In ihrer Hand hielt sie den Sack, nur an einer Seite, so das er offen war. Sie stellte sich vor die Frauen und hielt ihn auffordernd vor sie. Das Touristenpärchen guckte sehr irritiert. Jeanne sang immer noch, die ganze Zeit. Sie sang das alte Kinderlied.
„Maikäfer flieg! Dein Vater ist im Krieg!
Die Mutter ist in Pommerland
Pommerland ist abgebrannt
Maikäfer flieg!“
Der Mann des Touristenpärchens holte sein Handy heraus und filmte.
Im Radio kamen gerade Nachrichten, die Verhandlungen der Parteien über die GroKo würden stillstehen und ein chinesischer Tanker war gesunken.
Jeanne stellte sich mitten in den Raum. Sie hielt den offenen Sack vor sich. Und sang ununterbrochen. Immer wieder das Lied.
Das Touristenpärchen tauschte besorgte Blicke mit der Verkäuferin. Die winkte mit einer Hand vor ihrem Gesicht hin und her, und deutete auf Jeanne.
Die Touristen wirkten immer unsicherer, fast ängstlich.
Jeanne sang und hielt den Sack vor die Menschen. Die beiden Frauen aus dem Dorf öffneten seufzend ihre Einkaufstaschen und jede warf etwas Brot in den schon halbvollen Sack.
Jeanne drehte sich zu den Touristen, die sie verwirrt anguckten. Sie reagierten nicht und Jeanne hörte auf zu singen. Sie sah die Touristen an und fing an zu schreien, immer lauter, höher und schriller.
Der Bäcker rannte nach hinten in den Backraum und holte Brot vom Vortag.
Er gab ein bisschen den Touristen, die schon an die Verkaufstheke zurückgewichen waren.
“ Werfen Sie das Brot in den Sack,“ sagte er zu den Touristen.
Jeanne kreischte immer lauter und unerträglicher.
“ Schnell, tun sie es einfach,“ sagten die beiden Dorffrauen zu dem fremden Pärchen.
Der Mann und die Frau begriffen nichts, und Jeanne kreischte noch lauter, schon ganz rot im Gesicht.
Die Frauen hielten sich die Ohren zu.
Tun sie’s einfach“,sagte der Bäcker. Und wie in Trance warf die Frau, die alten Brötchen, die ihr der Bäcker gegeben hatte, in den Sack.
Jeanne hörte auf zu kreischen und hielt den Sack dem Bäcker hin. Der warf schnell die restlichen alten Brötchen in den Sack.
Jeanne schaute alle an und fing wieder an zu singen.
„Maikäfer flieg! Dein Vater ist im Krieg!
Die Mutter ist in Pommerland
Pommerland ist abgebrannt
Maikäfer flieg!“
Jeanne drehte sich um und ging hinaus.
Die Menschen guckten durch das Schaufenster auf den Dorfplatz.
Er stand ganz ruhig da und wartete auf sie.
Jeanne schwang sich auf seinen Rücken, hielt den Sack wieder hinten und der Haflinger ging mit ihr Schritt zum Dorfausgang. Im Bäckerladen waren alle ganz seltsam ruhig. Sahen einfach aus dem Fenster und beobachteten die Szene.
Die Dorfkinder, die auf dem Platz ihre Drohnen fliegen ließen, und mit ihren Handys hantierten, rannten im Kreis um Jeanne auf ihrem Pferd und ließen ihr die Drohnen um den Kopf kreisen. Jeanne reagierte überhaupt nicht, sang wieder die ganze Zeit und der Haflinger ging im Schritt zum Dorfrand.
„Wo willst du denn hin?“ schrien die Kinder, während sie sie umkreisten.
„Wo will die Jeanne denn wieder hin? Die blöde durchgeknallte Jeanne!!“
riefen sie und tanzten um den Haflinger und die Drohnen flogen Angriffe auf Jeanne´s Kopf.Doch Jeanne ließ sich nicht irritieren und ritt singend weiter.
„Maikäfer flieg! Dein Vater ist im Krieg!
Die Mutter ist in Pommerland
Pommerland ist abgebrannt
Maikäfer flieg!
Die Kinder begleiteten sie lachend und schreiend, während Jeanne im Schritt weiterritt.
„Die blöde Jeanne, die durchgeknallte, die irre Jeanne!!!“
So begleiteten sie Jeanne bis an den Dorfrand. Dort blieben sie zurück, kreischend und johlend.
„Wo willst du denn hin? Wo willst du denn hin?“
Da drehte sich Jeanne auf dem Pferd um.
Sie sah die Kinder an und auch das Touristenpärchen, dass ihr aus dem Bäcker heraus nachgekommen war und sie immer noch filmte. Jeanne hörte auf zu singen, sah sie an und sagte dann:
“ Ich reite nach Auschwitz, Brot über die Mauer werfen. Eine muss es ja tun.“
Fortsetzung folgt.